von Felix Anker
Meine Tante hat immer gesagt, dass es regnet, wenn man seinen Teller nicht leer isst, aber bisher ist nie was passiert. Letzte Woche gab’s Suppe, Kartoffelsuppe. Ich hasse Suppe und hasse Kartoffeln, und hasse, dass Minus und Minus hier nicht Plus ergibt. Hab sie weggeschüttet, die Strafe kam am nächsten Tag, bin aufgewacht mit Spaghettifingern. Musste mir die Woche freinehmen, konnte nicht mit Spaghettifingern arbeiten. War auch nicht einkaufen, aber hab jetzt Hunger. Ich möchte die Spaghetti kochen, wie lange dauert das? Auf der Verpackung steht nichts, ich rufe die Hotline an. Die Frau spricht Italienisch, ich verstehe nicht, sie sagt, ich müsse ALT + ENDE drücken, ich frage wo, die Frau legt auf. Ich stelle den Topf auf den Herd, drehe auf 3, ein Finger bricht ab. Aus dem Spaghettifingerloch spritzt Tomatensoße, das Telefon klingelt, die Frau sagt, ich müsse ins Krankenhaus. Ziehe mich an, gehe zum Aufzug, drücke die Krankenhaustaste, der zweite Finger bricht, Tomatensoße fällt auf den Boden, aber der Aufzug fährt los.
Vor dem Krankenhauseingang im Keller sitzt eine Katze ohne Nase, auf dem Namensschild steht Sphinx, ich habe Angst vor Wörtern mit drei aufeinanderfolgenden Konsonanten (aber nicht vor denen mit vier oder mehr), streiche sie deshalb meistens schnell aus dem Gedächtnis (vergesse es aber auch in hektischen Momenten ab und zu).
„Wenn du Einlass wünscht, dann musst du mein Rätsel lösen, sagt sie, ohne den ersten Teil ihrer Rede orthographisch korrekt zu beenden, und fährt dann fort: Ich habe in dieser Geschichte zwei Anführungszeichen versteckt und gewähre nur dem Einlass, der sie findet.“
„Da waren sie doch“, antworte ich, ohne nachzudenken und bemerke dann meinen Fehler, „Oh je, jetzt sind es schon fünf und nun sogar sechs.“
Ich dürfe trotzdem eintreten, sagt sie in indirekter Rede, um nicht noch mehr Anführungszeichen in die Geschichte einzuführen, und ich dürfe sogar die überschüssigen vier behalten. Danke, sage ich, und packe zwei davon in meine Tasche, für die anderen hab ich keinen Platz, muss sie entsorgen.
„“.
Die Tomatensoße tropft auf den Krankenhausgang, Hallo?, wer kann mir helfen? Eine Krankenschwester, die aussieht wie eine Gabel, zieht mich aus und nimmt sich die zwei Anführungszeichen aus meiner Tasche.
„Hier durch die Türe gehen“, sagt sie, ich gehe also durch die Türe, stehe in einem langen Gang, der nach Schokoladendeodorant riecht. Im Gang steht ein Schild:
Ab hier bitte keine Vokale verwenden
S n Mst. ch rnn dn Gng ntlng, bn lbr stll, lbr kn Gdnkn. Hst drch d Tr nd n dn nchstn Gng.
Dort wartet eine Krankenschwester, die in einer Besteckschublade gekleidet ist und drückt mir ein kleines Glas in die Hand, ich solle bitte alles schlucken, hier ist Wasser zum Runterspülen, ich schau ins Glas:
o E i i I e e e a e a i i e e i i e e e i e e a e a e u i e ü e u i e ä e a.
Schlucke, spüle nach, fühle mich jetzt wieder vollständig vokalisiert. Die Krankenschwester hält mir meinen Blutzuckerspiegel vor Augen: fünfhundertdreizehn, ich frage, ob das schlimm sei, sie sagt, dass ich das selbst erkennen müsse. Ich schaue noch einmal in den Spiegel, sehe Spaghetti, sehe Kartoffelsuppe, bekomme wieder Hunger. Ich steige in die Schublade der Krankenschwester und sie fährt mich in mein Zimmer. Hier lag ich heute Morgen schon und gestern und an den Tagen davor seit dreiundvierzig Jahren. Die Krankenschwester drückt den Notfallknopf, der Arzt kommt, er piept wie ein Müllauto im Rückwärtsgang und skalpelliert meine Spaghettifinger. Es sei Erntezeit, sagt die Krankenschwester und nimmt meine Finger mit. Draußen regnet es. Die italienische Krankenschwester kommt zurück mit einer Schüssel, es ist Suppe, Buchstabensuppe aus meinen Fingern, sie sprechen zu mir, sie sagen: ALT + ENDE. Jetzt kann ich sie endlich drücken.

